Interview mit fünf Fanhilfen

Die Junge Welt hat ein (schriftliches) Interview mit der Fanhilfe Hertha BSC, der Fanhilfe Dortmund, der Fanhilfe Mönchengladbach, der Rot-Schwarzen Hilfe und der Grün-Weißen Hilfe geführt und in zwei Teilen veröffentlicht. Weil die Antworten doch arg gekürzt werden mussten, möchten wir euch hier unsere vollständigen Antworten nicht vorenthalten. Sie stammen von Anfang Juli.

Kriminalisierung aktiver Fankultur (Stichwort Pyrotechnik), Stadionverbote, Verbandsstrafen und Konflikte um die Kommerzialisierung der Vereinspolitik. Was war der Auslöser für die Gründung der Grün-Weißen-Hilfe?

Einen bestimmten Auslöser gab es bei uns nicht. Natürlich sind uns die super Aktivitäten der Fanhilfen aus anderen Städten nicht entgangen. Von daher hatten wir schon seit Jahren mit dem Gedanken gespielt, so etwas auch in Bremen aufzuziehen. Im Sommer 2018 haben wir uns dann endlich einen Ruck gegeben und sind die Sache angegangen.

Sollen Fanhilfen mehr sein, als eine Art Caritas für Klubanhänger, die beispielsweise ins Visier staatlicher Ermittlungsbehörden geraten sind? Oder anders: Was ist Euer Selbstverständnis? Was bietet Ihr an?

Wir haben schon auch einen klaren fanpolitischen Anspruch. Die Grün-Weiße-Hilfe ist nicht nur eine Solidaritätsgemeinschaft, sondern will auch Sprachrohr sein für die Rechte von Fußballfans. Wenn es zu umstrittenen Vorfällen kommt, wollen wir deutlich Stellung beziehen, damit die Medien nicht nur die einseitige Version der Sicherheitsbehörden kennen. Wir weisen auf Missstände hin und ziehen auch selber vor Gericht, wenn das zur Durchsetzung unserer Grundrechte notwendig ist. Nicht zuletzt versuchen wir durch Infomaterialien, Veranstaltungen und eine regelmäßige Sprechstunde aufzuklären. An Spieltagen sind wir für alle Werder-Fans, Gästefans und auch Medien über unser Spieltagstelefon erreichbar.

Wen unterstützt ihr nicht, auch wenn es sich um ein SVW-Fan handeln sollte? Habt Ihr für Euch da klare Kriterien – zum Beispiel bei diskriminierendem Verhalten? (Fanrechte für alle Fans?)

In unserer Satzung bekennen wir uns eindeutig zur Funktion des Fußballs als verbindendes Element zwischen Nationalitäten, Kulturen, Religionen und sozialen Schichten und wenden uns gegen jede gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Wer damit ein Problem hat, ist bei uns falsch. Ansonsten hören wir uns erst einmal alle Fälle an und schließen nichts kategorisch aus. Natürlich soll die Mitgliedschaft bei uns aber auch kein Freibrief zur Begehung von Straftaten sein. Und wir können auch nicht für jede Dummheit uneingeschränkt einstehen. Aber auch bei Vorfällen der Kategorie „Selber schuld!“ kann es Härtefälle geben, wo es wichtig ist, eine Person nicht einfach im Stich zu lassen. Spätestens bei diskriminierendem Verhalten hört unsere Solidarität aber auf.

Daran anschließend: Aktive Fußballfans geben sich häufig gerne als „unpolitisch“. Geht das überhaupt, wenn wir von Polizeigewalt, Kommerz und Korruption im Bundesligaalltag sprechen? Kurz: Wie viel Politik verträgt die Kurve, oder konkreter: Wie viel Politik verträgt die Grün-Weiße-Hilfe?

Unsere aktive Fanszene versteht sich als klar antifaschistisch und hat auch keine Berührungsängste mit politischen Themen. Als Grün-Weiße Hilfe stehen wir vor allem für Rechtsstaatlichkeit ein, also für unveräußerliche Menschenrechte, die einem auch der Staat nicht nehmen kann. Es wäre dumm zu glauben, dass diese Rechtsstaatlichkeit nur im kleinen Fußballkosmos bedroht ist.

Mitte Juni tagt turnusgemäß die halbjährliche Innenministerkonferenz. Dabei soll es u.a. um die Kostenbeteiligung bei sog. Hochrisikospielen durch die DFL gehen. Was haltet ihr davon?

In der öffentlichen Debatte kommt bisher zu kurz, dass das Bundesverwaltungsgericht in seiner mündlichen Urteilsverkündung betont hat, die Polizei müsse den von ihr betriebenen Aufwand rechtfertigen. Die gerichtliche Kontrolle dürfe sich nicht darauf beschränken, ob der berechnete Kostenaufwand „offensichtlich extensiv“ ist, wie es noch das Oberverwaltungsgericht meinte. Sondern das Gericht müsse auch prüfen, ob die Gefahrenprognose der Polizei plausibel ist und auf einer zutreffenden tatsächlichen Grundlage beruht. Falls die Gerichte diesen Auftrag ernst nehmen, kommt es vielleicht nicht, wie befürchtet, zu einer weiteren Aufblähung des Sicherheitsapparats im Umfeld von Fußballspielen. Insofern wäre es aus Fansicht vermutlich besser, wenn sich Politik und DFL gar nicht auf eine pauschale Fondslösung einigen, sondern jedes betroffene Spiel einzeln in Rechnung gestellt wird.

Wie habt Ihr die Situation der BL-Saison 2018/19 wahrgenommen? Nehmen Repressalien innerhalb und außerhalb der Stadien zu? Welche konkreten Beispiele könnt Ihr aus SVW-Fansicht anführen?

Einen neuen Höhepunkt erreicht hat bei uns in der vergangenen Saison leider die Zahl der Betretungsverbote. Begründet werden sie meist mit den noch laufenden Ermittlungsverfahren wegen schweren Landfriedensbruchs nach dem Heimspiel gegen Mainz 05 im Dezember 2017. Damals waren unsere Ultras beim gemeinsamen Abmarsch vom Stadion mit Nazi-Schlägertypen aneinandergeraten, die sich in einer Kneipe im Steintor-Viertel aufhielten und mit Stuhlbeinen und Hockern auf die Ultras losgingen. Den allermeisten betroffenen Ultras wird lediglich vorgeworfen, durch ihre Anwesenheit psychische Beihilfe geleistet zu haben. Nach unserer Einschätzung hätten die Verfahren längst eingestellt werden müssen, weil es sich um keine geplante Auseinandersetzung handelte und man schlecht psychische Beihilfe leisten kann, wenn man unvermittelt in etwas hineingerät. Aber offensichtlich gibt es einen schmutzigen Deal zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei, denn die Staatsanwaltschaft verschleppt das Strafverfahren, während Polizei und Ordnungsamt munter Betretungsverbote unter Hinweis auf die laufenden Strafverfahren verhängen.

Ansonsten sind uns aus der letzten Saison vor allem willkürliche Machtdemonstrationen in Erinnerung geblieben. Am ersten Spieltag zogen behelmte Polizeikräfte auf martialische Weise in den Innenraum des Weserstadions. Im November drangsalierten dann Einsatzkräfte die Fans bei der Einlasskontrolle und forderten, die Tifomaterialien, also Schwenk- und Zaunfahnen sowie Doppelhalter, aller Ultragruppen zu kontrollieren. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Teil einer erbärmlichen Strategie des Innensenator war, einige Monate vor der Wahl mit öffentlichkeitswirksamen PR-Shows Handlungsfähigkeit zu simulieren. Er war sich dann auch nicht zu schade, wegen des Inhalts von gegen ihn gerichteten Protest-Spruchbändern Strafantrag zu stellen. Als Belohnung bekommt er jetzt von der Ostkurve zu jedem Heimspiel eine „Liebeserklärung“ per Transpi. Garantiert innerhalb der Grenzen der Meinungsfreiheit, geprüft von der Grün-Weißen Hilfe.

Wie sieht es mit der Resonanz im Vergleich zu den Saisons zuvor aus: Habt Ihr einen Mitgliederzuwachs zu verzeichnen? Findet Ihr mit Euren Themen innerhalb des heterogen Fanspektrums Eures Vereins Gehör (und wo kaum oder nicht)? Und wie hat sich Eure Öffentlichkeitsarbeit und mediale Präsenz entwickelt?

Wir werden sehen. Wir stehen ja noch ganz am Anfang unserer Arbeit.

„Fick Dich, DFB!“ – ein in den vergangenen zwei, drei Saisons häufig in den Fankurven aufgespanntes Banner. Nur: Wie viel Anteil haben eigentlich Klubführungen an den kritisierten Zuständen um Fankultur und Fanrechte? Habt ihr den Eindruck, dass Fanrechte in der Werder-Vereinsführung ein Thema sind? Wie kritisch ist Euer Verhältnis zur Klubleitung?

Tatsächlich wäre es schön, wenn die Vereine sich auch auf Verbandsebene aktiver für Fankultur und Fanrechte einsetzen würden. Warum überlässt man dem DFB die Entscheidung über die Stadionverbots-Richtlinien oder über die Ahndung von Zuschauerfehlverhalten durch das Sportgericht? Am Ende müssen es auch die Vereine ausbaden, also sollten sie schon aus eigenem Interesse hier viel aktiver sein.

Was unsere Vereinsführung vor Ort angeht, insbesondere unseren Präsidenten Hess-Grunewald, können wir uns im Vergleich zu anderen Vereinen nicht unbedingt beschweren. Aber Luft nach oben ist schon noch.

Getrennt in den Farben, vereint im Kampf gegen Polizeigewalt und für Fanrechte als Grundrechte. Ist das ein Motto, was auch Eure Arbeit als Fanhilfe über Vereinsgrenzen hinweg bestimmt?

Im Prinzip ja. Dass wir nicht mit Nazis und ihren Handlangern zusammenarbeiten, gilt aber auch hier.

Würdet Ihr ein bundesweites Bündnis von Klub-Fanhilfen aller Ligen unterstützen? Könnten so Fanhilfen ein relevanter Faktor im bundesdeutschen Fußball werden?

Ja, die Vorbereitungen dazu laufen auch schon. Wir begleiten das sehr wohlwollend.

Nach der Saison ist vor der Saison: Womit wollt Ihr Euch schwerpunktmäßig in der kommenden Spielzeit als Fanhilfe befassen?

Da die GWH erst im Laufe der letzten Saison gegründet wurde, liegt unser Schwerpunkt aktuell noch darin, uns innerhalb des Werder-Kosmos bekannt zu machen. In der Sommerpause arbeiten wir vor allem an Infomaterialien wie einem kleinen Faltheft mit den allernötigsten Verhaltenstipps und einer ausführlicheren Broschüre. Außerdem an je einem Poster für zu Hause und für Bus- bzw. Sonderzugfahrten. Auf dem einen Poster steht alles, was man bei einer Hausdurchsuchung zu beachten hat, auf dem anderen alles Wissenswerte für den Anreiseweg. Dank anderer Fanhilfen, die Ähnliches schon anbieten, müssen wir das Rad dabei nicht neu erfinden.

In der neuen Saison wollen wir dann unter anderem gegen die Allgemeinverfügungen vorgehen, die das Ordnungsamt vor fast jedem Heimspiel erlässt. Darin wird den Gästefans verboten, sich vom Bahnhof aus individuell oder in Gruppen zum Stadion zu bewegen, stattdessen werden die Leute in Shuttle-Busse gezwungen und erst direkt am Gästeblock wieder rausgelassen. Auch Heimfans unterliegen einem Fanmarschverbot und dürfen sich auf dem Weg zum Spiel nicht einmal eine Flasche Bier kaufen. Wir halten das alles für rechtswidrig und wollen uns das nicht länger bieten lassen.