Die polizeilichen Maßnahmen gegen knapp 180 Werder-Fans nach dem gestrigen Heimsieg werden von der Grün-Weißen Hilfe scharf kritisiert. Die Polizei hatte zunächst etwa 220 Fans beim gemeinsamen Rückweg in Stadionnähe aufgehalten und festgesetzt. Über Lautsprecherdurchsagen teilte sie den Fans mit, die Maßnahmen dienten den Ermittlungen wegen des Verdachts eines schweren Landfriedensbruchs am Tag des Pokalspiels gegen Atlas Delmenhorst. Bei allen männlichen und einzelnen weiblichen Personen wurden daraufhin nicht nur die Personalien festgestellt, sondern sie wurden auch erkennungsdienstlich behandelt, indem die Polizei sie allesamt mit einem Namensschild frontal und von hinten fotografierte.
Das erkennungsdienstliche Fotografieren von fast 180 Fans entbehrt jeglicher rechtlichen Grundlage. Solche Maßnahmen sind nach der Strafprozessordnung nur gegen Personen zulässig, gegen die ein Strafverfahren als Beschuldigte betrieben wird oder deren Identität nicht anders festgestellt werden kann. Beide Voraussetzungen waren gestern nicht gegeben. Die kontrollierten Personen hatten gültige Ausweise dabei. Eine Beschuldigtenbelehrung, wie sie sonst notwendig gewesen wäre, hat nicht stattgefunden. Hier wird eine große Zahl von jungen Fans aus der Ultraszene unter Generalverdacht gestellt und kriminalisiert, ohne dass es zureichende und konkrete Anhaltspunkte gibt, die eine solche Maßnahme rechtfertigen würden. Nach dem Vorfall im Nachgang des Pokalspiels gegen Atlas hatte die Polizei noch darauf verzichtet, die Personalien jener damals eingekesselten Gruppe festzustellen, der sie nun schweren Landfriedensbruch vorwirft. Damals wäre eine erkennungsdienstliche Behandlung dieser Gruppe vermutlich rechtmäßig gewesen, doch diese Chance hat die Polizei vergeben. Drei Wochen später kann sie sich nicht einfach eine sehr viel größere und anders zusammengesetzte Fangruppe greifen und pauschal alle wie Beschuldigte behandeln, nur weil sie mutmaßlich der Ultraszene angehören. Wir fordern Polizei und Staatsanwaltschaft auf, die rechtswidrig erlangten Foto-Aufnahmen unverzüglich zu vernichten, wie es rechtlich geboten ist. Notfalls werden wir rechtliche Schritte prüfen. Positiv hervorzuheben bleibt, dass alle Fans die Maßnahme trotz ihrer Unzulässigkeit friedlich über sich ergehen lassen haben. Sie haben sich auch nicht von dem martialischen und vermummten Auftreten einiger Polizeikräfte im Stile eines Einsatzkommandos provozieren lassen, das eher an einen Anti -Terroreinsatz erinnerte als an ein Bundesligaspiel, bei dem es gestern zu keinerlei Vorfällen gekommen ist.
Die Polizei stellt die Maßnahmen in ihrer Pressemitteilung nach dem Spiel dreist als bloße Identitätsfeststellung dar. Dabei wissen Polizei und Staatsanwaltschaft ganz genau, für eine erkennungsdienstliche Behandlung muss ein sehr viel stärkerer Tatverdacht gegen die einzelnen Personen vorliegen als bei einer Identitätsfeststellung. Wir haben die Pressestelle der Polizei bereits weit vor Veröffentlichung der Pressemitteilung darauf hingewiesen, dass sie den rechtlichen Charakter der Maßnahme über ihren Twitter-Kanal falsch darstellt. Schlimm genug, dass die Polizei ihren Fehler daraufhin nicht zugegeben und die Darstellung nicht korrigiert hat. Die falsche Darstellung dann aber auch noch einmal in der offiziellen Pressemitteilung zu wiederholen, lässt wohl nur einen Schluss zu: Die Polizei will die Öffentlichkeit bewusst über den tatsächlichen Charakter der Maßnahme täuschen und ihre Rechtswidrigkeit verschleiern.
Nach Ansicht der Grün-Weißen Hilfe hat die Polizei Bremen aber nicht erst mit ihrer gestrigen Öffentlichkeitsarbeit die Grenzen des Zulässigen überschritten. Bereits ihre Pressemitteilung vom Tag nach dem Werder-Pokalspiel widersprach den Regeln für die Öffentlichkeitsarbeit, an die sich die Polizei zu halten hat. Die Polizei Bremen hatte damals eine wütende Pressemitteilung veröffentlicht, in der Bremer Ultras als „feige“ und „skrupellose Gewalttäter“ beschimpft werden und ihnen „Hass gegen den Staat und die Polizei“ unterstellt wird.
Bei allem menschlichen Verständnis dafür, dass die Polizeiführung sich schützend vor ihre angegriffenen Beamten stellen möchte, bleibt sie doch bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit strikt an die Gebote der Neutralität und der Sachlichkeit gebunden. Spätestens mit Werturteilen wie ‚feige‘ und ‚skrupellos‘ wurde die Grenze des Zulässigen überschritten. Es ist schlicht nicht Aufgabe der Polizei, mutmaßliche Straftäter*innen öffentlich zu beschimpfen. Wo kämen wir hin, wenn die Polizei nach einem Mord oder einer Vergewaltigung öffentlich über die charakterliche Verkommenheit der mutmaßlichen Täter*innen herziehen würde? Und warum verschweigt die Polizei der Öffentlichkeit eigentlich so hartnäckig den Zusammenhang des Vorfalls nach dem Pokalspiel mit der Anwesenheit von polizeibekannten Nazi-Hooligans im Kreise von Delmenhorster Fans nur wenige Meter entfernt vom Ort des Geschehens? Will die Polizei davon ablenken, dass sie trotz vorheriger Warnungen durch das Fanprojekt und die Werder-Fanbetreuung ihr Kräfteaufgebot beim Spiel gegen Atlas Delmenhorst nicht der brenzligen Lage angepasst hatte? Und ist dieses Versäumnis der Grund, weshalb sie die überschaubare Gruppe der in Frage kommenden Beteiligten nach dem Atlas-Spiel nicht zu kontrollieren vermochte, sondern nun in einer unverhältnismäßigen Aktion fast 180 Fans einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen hat? Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Eine Polizei, die dies vergisst, ist eine Gefahr für unseren Rechtsstaat.
Anders als die sogenannten Polizeigewerkschaften oder politische Akteure sind Polizei und Staatsanwaltschaft in ihrer Öffentlichkeitsarbeit nicht weitgehend frei, sondern strikt auf die Wahrnehmung der ihr zugewiesenen Aufgaben beschränkt und überdies zu neutralem und sachlichen Verhalten verpflichtet. Vor diesem Hintergrund ist auch zu kritisieren, dass zwei Tage nach dem Pokalspiel die Süddeutsche Zeitung „aus Ermittlerkreisen“ zu berichten wusste, dass „eine Ultra-Gruppierung des Fußball-Vereins Werder Bremen“ für die Soko Goetheplatz des Landeskriminalamts „die meiste Zeit im Zentrum ihrer Ermittlungen“ in Sachen Frank Magnitz bestanden habe, der Anfang des Jahres von Unbekannten angesprungen wurde und zu Boden gegangen ist. Der Vorfall hatte ein absurd großes Medienecho gefunden, nachdem der rechtsradikale AfD-Landesvorsitzende ihn mit Hilfe von dramatisch aussehenden Bildern seiner Platzwunde und Lügen über ein angebliches Kantholz und erfundenen Kopftritten propagandisch auszuschlachten versuchte.
Dass „Ermittler“ unter dem Schutz der Anonymität haltlose Verdächtigungen gegen Bremer Ultras über eine überregionale Zeitung in die Öffentlichkeit tragen, lässt den Vorgang als Retourkutsche für den Vorfall nach dem Pokalspiel gegen Delmenhorst erscheinen. Leider ist so etwas bei der Polizei Bremen kein Einzelfall. Sie hat nicht nur unter Journalist*innen den Ruf, hinsichtlich vertraulicher Informationen löchrig wie ein Schweizer Käse zu sein. Immer wieder werden in Bremen Informationen aus Ermittlungsverfahren gezielt an Medien durchgestochen, ohne dass dies seitens der Polizei öffentliche Erklärungen des Bedauerns nach sich zöge. Auch die Staatsanwaltschaft demonstriert bezüglich solcher Rechtsverstöße seit Langem Gleichgültigkeit: Beschäftigte der Bremer Staatsanwaltschaft können im internen Vorgangsbearbeitungssystem in jeglichen Ermittlungsverfahren herumschnüffeln, ohne dass diese Lesezugriffe protokolliert werden. Ein unfassbarer Zustand, den die Landesdatenschutzbeauftragte seit etlichen Jahren kritisiert.