Amtsgericht Bremen: Buskontrolle von Bayern-Fans war rechtswidrig

Polizei missachtete frühere Gerichtsentscheidung – dubiose Rolle des Innensenators

Stundenlang festgehalten, durchsucht und abgefilmt wurden im Mai letzten Jahres 380 Fans des FC Bayern München nach ihrem Auswärtsspiel in Bremen auf einem Parkplatz bei Achim. Nun hat das Amtsgericht Bremen entschieden, dass diese polizeilichen Maßnahmen sämtlich rechtswidrig waren.

Während des Samstagabendspiels war es damals zum Abbrennen von Pyrotechnik im Gästeblock des Weser-Stadions gekommen. In der Folge wurden insgesamt sechs Reisebusse mit 380 Bayern-Fans auf einen Baumarktparkplatz bei Achim geleitet und alle Insass*innen dort unter den Augen eines beträchtlichen Polizeiaufgebots die halbe Nacht über mehrstündigen intensiven Kontrollmaßnahmen unterworfen. Zwei betroffene Bayern-Fans beantragten daraufhin eine gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen. Wie das Amtsgericht Bremen nun festgestellt hat, waren sowohl das stundenlange Festhalten als auch die Durchsuchungen und die erkennungsdienstlichen Behandlungen in Form des Abfilmens rechtswidrig. Dies schon deshalb, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für die von der entscheidenden Polizeiführerin angeordneten Maßnahmen, insbesondere der erforderliche Tatverdacht, nicht vorlagen.

Bereits im November 2019 hatte das Amtsgericht der Polizei Bremen ins Stammbuch geschrieben, dass derartige Maßnahmen nur gegen Fans zulässig sind, gegen die bereits ein individueller Anfangsverdacht vorliegt. Damals waren pauschal 179 Werder-Fans von der Polizei festgehalten und abfotografiert worden. Mitglieder der Grün-Weißen Hilfe hatten anschließend das Amtsgericht angerufen, dieses erklärte die Maßnahme für rechtswidrig. Aus Sicht der Fanhilfe hat die Bremer Polizei mit der Buskontrolle der Bayern-Fans dokumentiert, dass sie die damalige Gerichtsentscheidung missachtet und zu umgehen versucht. Vor diesem Hintergrund hat die Grün-Weiße Hilfe daher nun ausnahmsweise Bayern-Fans dabei unterstützt, die Polizei erneut in ihre Schranken zu verweisen.

Der Bremer Rechtsanwalt Nils Dietrich hat einen der beiden Bayern-Fans vor dem Amtsgericht vertreten und erklärt zu dessen Entscheidung:

Die Ausführungen des Gerichts verwundern nicht. Dass ein Anfangsverdacht für die Begehung einer Straftat nicht allein aus dem Umstand folgen kann, dass man sich als Fan in einem bestimmten Reisebus befindet, dürfte selbsterklärend und insbesondere auch den entscheidenden Polizeibeamt*innen klar gewesen sein. Warum die Bremer Polizei gleichwohl sehenden Auges zum Mittel einer grundrechtsintensiven und dabei evident rechtswidrigen Großmaßnahme griff, ist aufzuarbeiten. Ebenfalls der Aufarbeitung bedarf die Frage nach der politischen Einflussnahme.

Rechtsanwalt Nils Dietrich

Damit spielt Dietrich auf die dubiose Rolle des Bremer Innensenators an. Der Münchner Rechtsanwalt Marco Noli, der den anderen Betroffenen anwaltlich vertritt, weist in diesem Zusammenhang auf den brisanten Akteninhalt hin:

Aus den Akten ergibt sich deutlich, dass die Staatsanwaltschaft den erforderlichen Anfangsverdacht für die angegriffenen Maßnahmen selbst nicht für begründbar hielt, aber von der Polizei am gesamten Verfahren nur rudimentär beteiligt wurde. Es gibt ferner Belege dafür, dass das Innenressort versucht hat, auf die rechtliche Einschätzung und Sachentscheidung der Staatsanwaltschaft Einfluss zu nehmen. In einem aktenkundigen Schreiben der sogenannten szenekundigen Beamten der Polizei Bremen an die zuständige Staatsanwältin wird unmissverständlich darauf hingewiesen, dass sich der Senator für Inneres die Einleitung eines Strafverfahrens gegen sämtliche Businsass*innen wünsche. Ich halte diese politische Einflussnahme gerade unter Berücksichtigung der Bedeutung der Gewaltenteilung als wesentliche Säule unseres Grundgesetzes für skandalös.

Nicht minder skandalös ist die Verschleppungstaktik der Polizei Bremen bei der gerichtlichen Aufarbeitung. Erst aufgrund unserer Anträge und der Aufforderung des Gerichts an die Polizei, Akten an die Staatsanwaltschaft zuzuleiten, hat die Polizei Ende September, also fast fünf Monate nach der Aktion, wesentliche Aktenbestandteile an die Staatsanwaltschaft übersandt. Erst im Februar wurde uns Rechtsanwälten endlich Akteneinsicht gewährt. Dadurch ist ein schneller und effektiver Rechtsschutz verhindert worden. Das grenzt an Behinderung der Justiz. Die Polizei muss nun unverzüglich die rechtswidrig erhobenen Daten aller 380 Bayern-Fans restlos löschen.

Rechtsanwalt Marco Noli

Aus Sicht der Grün-Weißen Hilfe stellen sich nach alledem für die weitere Aufarbeitung insbesondere die folgenden Fragen:

  • Hat die Polizeiführerin bewusst eine rechtswidrige Kontrollmaßnahme gegen hunderte Bayern-Fans angeordnet?
  • Inwieweit hat sich die Polizei durch den Senator für Inneres zu ihrem Vorgehen drängen lassen?          
  • Wer trägt die Verantwortung dafür, dass die Polizei anschließend monatelang dem Amtsgericht die zur Entscheidungsfindung notwendigen Akten vorenthalten hat?
  • Wurde hier bewusst die Aufklärungsarbeit der Justiz behindert, um in der Zwischenzeit noch möglichst viele der abgefilmten Businsass*innen den Videoaufnahmen aus dem Stadion zuordnen zu können, weil man davon ausging, dass man die rechtswidrig erlangten Aufzeichnungen wird löschen müssen, sobald das Amtsgericht entscheidet?

Diese Fragen werden sich vermutlich vor Gericht nicht vollständig aufklären lassen. Die Grün-Weiße Hilfe wird daher den Sachverhalt der unabhängigen Polizeibeauftragten der Freien Hansestadt Bremen übermitteln und diese um die erforderlichen Untersuchungen und Bewertungen ersuchen.