So erlebten die Werder-Fans die Polizeikontrolle in Wolfsburg

Nach dem schikanösen Polizeieinsatz beim Auswärtsspiel in Wolfsburg baten wir die betroffenen Werder-Fans, uns von ihren Erlebnissen über ein spezielles Kontaktformular zu berichten. Die Resonanz hat unsere kühnsten Erwartungen übertroffen: Sensationelle 155 Rückmeldungen wurden uns auf diese Weise übermittelt. Zusätzlich erreichten uns noch einige Gedächtnisprotokolle per E-Mail oder auf anderem Wege. Dafür ein riesiges Dankeschön! Die Rückmeldungen widerlegen klar die Darstellung, an der die Polizei Niedersachsen noch immer festhält.

Über einige Inhalte der Erlebnisberichte hatten wir bereits in den ersten Tagen nach dem Spiel im Fernsehen und gegenüber anderen Medien Auskunft gegeben. Mit etwas Abstand wollen wir an dieser Stelle nun einen ausführlicheren Überblick geben.

Zahlen, Daten, Fakten

Zunächst ein paar statistische Daten über die 155 bei uns eingegangenen Formulare:

  • Von den 155 Personen waren 69 (45 %) im Stadion. Elf von ihnen wurden nach Durchlaufen der Kontrollstelle nur in Polizeibegleitung zum Stadion gelassen. 21 von ihnen wurden nach der Kontrollstelle zunächst festgehalten, durften sich dann aber irgendwann frei zum Stadion bewegen. 32 von ihnen konnten sich sofort nach der Kontrollstelle frei bewegen. Fünf von ihnen kamen von vornherein an der Kontrollstelle vorbei, bekamen aber teilweise einen festen Weg zum Stadion vorgeschrieben.
  • 41 Personen geben an, in der Kontrollstelle oder auf dem Weg zur Toilette von der Polizei abgetastet worden zu sein. Bei 39 Personen wurden die mitgeführten Sachen durchsucht.
  • 55 % der Mitteilungen sprechen von problematischem Verhalten auf Seiten der Polizei, unter anderem Häme, Beleidigungen gegenüber Fans, Racial Profiling und Diskriminierung von behinderten Menschen.
  • Vor der Kontrollstelle wurde die Wartezeit mit durchschnittlich 52 Minuten angegeben (Median: 30 Minuten), bis es weiterging.
  • Das individuelle Kontrollieren von einzelnen Personen selbst dauerte im Schnitt zwölf Minuten (Median: fünf Minuten).
  • Bei den Personen, die nach der Kontrolle warten mussten, dauerte es durchschnittlich 17 Minuten (Median: fünf Minuten), bis sie weiter Richtung Stadion gehen konnten.

Und nun der Versuch einer chronologischen Darstellung der Ereignisse:

Neun-Euro-Ticket und eitel Sonnenschein

Am ersten Spieltag der Bundesliga-Saison 2022/23, am 6. August, spielte der SV Werder Bremen um 15:30 Uhr beim VfL Wolfsburg. Zu diesem Zeitpunkt galt noch das Neun-Euro-Ticket, das Fahrgäste berechtigte, für einen Monat alle Regionalzüge und ÖPNV-Angebote zu einem einmaligen Preis von neun Euro zu nutzen.

Wenig überraschend machte sich also ein Großteil der Werder-Auswärtsfahrer*innen per Zug auf den kurzen Weg nach Wolfsburg, um dort das Spiel im Stadion zu verfolgen. Freude über die Rückkehr in die Bundesliga, strahlender Sonnenschein, eine entspannte Partie gegen einen eher langweiligen Gegner, angenehme Anstoßzeit: Was kann schon schiefgehen?

„Ich (Wolfsburgerin) […] war in der Bahnhofsvorhalle und habe beobachtet, wie die Fans die Treppe heraufgegangen sind. Es gab keine Pöbeleien und es war kein Gegröle zu hören, alles war absolut friedlich – ganz anders als bei anderen Fußballspielen. Die Polizei hatte schon vor Ankunft den Zuges Handschuhe an – das ist in Wolfsburg immer sehr verdächtig. Dh egal, wie friedlich die Fans gewesen wären – da wäre so oder so eine Aktion gestartet worden.“

Komplett eingekesselt

Sobald die friedlichen Werder-Fans jeglicher Couleur den Hauptbahnhof verlassen wollten, stellten viele von ihnen überrascht fest, dass sie direkt in einen Polizeikessel geleitet wurden. Das bedeutet, dass Werder-Fans nicht dazu in der Lage waren, den Hauptbahnhof bzw. den davor liegenden Platz zu verlassen, denn sie waren durch Polizeifahrzeuge und Polizeibeamt*innen eingekreist:

„Der Bahnhofsvorplatz war mit Polizei Mannschaftswagen komplett halbkreisförmig abgesperrt, somit gab es keine Möglichkeit in die City zu kommen. Meine Begleiterin und ich [Nutzer*in eines Rollstuhls] hatten aufgrund der frühen Anreise noch vor in die City Galerie zu schlendern, um evtl. noch etwas essen zu gehen. […] [Doch] es sollen ausführliche Kontrollmaßnahmen für uns Auswärtsfans durchgeführt werden ohne Ausnahme.“

Durch Lautsprecheransagen kündigte die Polizei an, sogenannte „Sichtkontrollen“ bei allen Werder-Fans durchzuführen, die in Einzelfällen zu Durchsuchungen der mitgeführten Gegenstände sowie der Personen führen könnten. Einige Werder-Fans drückten verbal ihren Unmut aus, die Situation blieb jedoch durch und durch friedlich. Einzelne Polizist*innen versuchten derweil, die Verantwortung für die Maßnahmen wahrheitswidrig auf die Stadt Wolfsburg abzuschieben:

„Mein Mann und ich (beide völlig neutral ohne Trikot und Fanschals gekleidet) wollten vor dem Spiel noch eine Stadtbesichtigung unternehmen, weil wir noch nie in Wolfsburg waren. Ich ging zu einem Polizisten in der Absperrung und fragte ihn, ob ich in die Innenstadt dürfe. Er sagte Nein. Dies sei eine Anordnung der Stadt Wolfsburg. Es sei eine Aufenthaltsverbotszone für das gesamte Stadtgebiet eingerichtet worden. Ich müsse mich zum Kontrollpunkt begeben, sonst kämen wir hier nicht durch.“

„Ein Polizist hat auf Nachfrage angegeben es sei eine Anordnung der Stadt Wolfsburg und wir dürften nicht in die Innenstadt. Es müsse die Kontrollstelle passiert werden, sonst käme man hier nicht raus.“

„Die Maßnahmen wurden durch die Polizei mit einer Allgemeinverfügung der Stadt Wolfsburg begründet. Ich konnte im Nachhinein in den amtlichen Mitteilungen der Stadt keine dazu passende Allgemeinverfügung finden.“

Heute wissen wir, dass die Stadt Wolfsburg tatsächlich nichts dergleichen angeordnet oder verfügt hatte.

Dilemma: Bürgerrechte abgeben oder Spiel verpassen?

Wer glaubte, ohne viel Aufhebens durch die angekündigte „Sichtkontrolle“ schlüpfen zu können, sah sich leider rasch eines Besseren belehrt:

„Wir dachten zunächst, dass Sichtkontrollen und stichprobenartiges Abtasten akzeptabel wären. Als jedoch direkt alle aus unserer Gruppe, die als erste von uns durch die Schleuse in der Polizeikette gehen wollten, gepackt, an eine Wand gestellt und intensiv durchsucht wurden, wurde uns bewusst, dass die harmlose ‚Sichtkontrolle‘ nur ein Vorwand war. Also entschieden wir uns, nicht aus dem Polizeikessel zu gehen, da wir davon ausgehen mussten, dass doch jede*r einzelne von uns intensiv und übergriffig kontrolliert werden würde.“

Vielen der mehreren hundert Werder-Fans wurde somit klar: Entweder sie lassen sich alle einzeln polizeilich kontrollieren und durchsuchen, was im Übrigen auch einen immensen zeitlichen Aufwand befürchten ließ, oder sie können den Spielbesuch vergessen. Im Klartext bedeutete das, dass ihnen ihre Bürger*innenrechte mit dieser bereits zu diesem Zeitpunkt rechtswidrig anmutenden Kontrolle der Polizei abgepresst werden würden, wollten sie doch zum Fußballspiel gehen. Staatliche Willkür akzeptieren, um eine Freizeitveranstaltung besuchen zu dürfen?

Fanbetreuung unmöglich

Fanbetreuer*innen des SV Werder Bremen und Mitarbeitende des Fan-Projekt Bremen suchten derweil intensiv den Austausch mit der Polizei Wolfsburg, um dieses Chaos aufzulösen. Sie sahen keinerlei Anlass für eine solch immense Kontrollstelle und erkundigten sich mehrfach nach der Begründung, bemühten sich um Lösungsansätze. Doch auch sie mussten sich immer wieder Kontrollen seitens der Polizei aussetzen, was ihre Arbeit deutlich behinderte und auch das tiefe Misstrauen der Polizei gegenüber den Vereinsoffiziellen und Sozialarbeiter*innen unter Beweis stellte.

„Auch wir vom Fan-Projekt kamen bei der Kontrollstelle mit unseren Dienstausweisen, Argumentation des Arbeitsauftrages und Dienstbekleidung mit der Aufschrift „Fan-Projekt Bremen“ nicht ohne durchgeführte Kontrollen aus dem Kessel heraus, was unsere Arbeit erschwerte bis unmöglich machte.“

Stellungnahme des Fan-Projekt Bremen

Entwürdigende Toilettengänge

Einige Werder-Fans entschieden sich, abzuwarten, ob die Bemühungen der Fanbetreuung bei der Polizei etwas erreichen würden. Der Aufenthalt im Polizeikessel zog sich entsprechend hin. Dabei durften die Fans weder in das Bahnhofsgebäude zurückkehren, um sich angesichts der brennenden Sonne beispielsweise mit Getränken und Lebensmitteln zu versorgen, noch zur Toilette gehen: 

„Zitat BFE [Beweissicherungs- und Festnahme-Einheit]: ‚Trinkt nicht so viel Bier, dann müsst ihr auch weniger pissen!‘“

Uns wurde provozierend ins Gesicht gelacht, als wir mitteilten auf Klo zu müssen. Uns wurde gesagt, dass wir einfach wieder abhauen sollen.“

„Gewohnt unfreundliches Verhalten der Polizisten, hämisches Lachen über Personen, die gezwungen waren, öffentlich zu urinieren. Zugang zum Bahnhof und damit zu Getränken war nur nach Kontrolle möglich.“

„Der Gang zur Toilette wurde mehrfach verwehrt

„Bahnhof mit Toiletten & Verpflegungsmöglichkeiten konnten nur nach langem Schlangestehen und intensiven langgezogenen Kontrollen betreten werden.“

 Beim Gang zur Toilette oder zur Trinkwasser– bzw. Bierversorgung wurde man nur einzeln durchgelassen. Anfangs wurde dieser Gang sogar komplett verwehrt mit der Begründung, dass man erst die ‚Sichtkontrolle‘ über sich ergehen lassen muss. Als der Druck auf die Polizeibeamten stieg, mussten sie sich einsichtig zeigen.“

Alle sind Risikogruppe?

Währenddessen entschied sich ein anderer Teil der Werder-Fans dazu, in den sauren Apfel zu beißen und sich um des Spielbesuchs Willen der Kontrolle zu unterziehen. Aufgrund der Anzahl der Personen zog sich jedoch auch diese Maßnahme in die Länge. Die Polizei behauptete im Nachgang, nur Abgehörige der Risikogruppen – wer immer das sein soll – seien durchsucht worden.

„Sowohl die Personalienfeststellung, als auch die Durchsuchung der in der Kontrollstelle angetroffenen Personen und ihrer mitgeführten Sachen […] wurden […] in einem stark differenzierenden und abgestuften Verfahren durchgeführt. Personen, die nicht den Risikogruppen zugeordnet werden konnten, konnten den Bahnhof sofort nach ihrer Ankunft ohne weitere polizeiliche Maßnahmen verlassen und ihren Weg in Richtung Volkswagen-Arena oder in das sonstige Stadtgebiet fortsetzen.“

Thomas Figge, Pressestelle der Polizei Wolfsburg

Die Wirklichkeit stellte sich aus Sicht der Betroffenen und des Fan-Projekts deutlich anders dar:

„Ich möchte deutlich den Aussagen von Polizeisprecher Figge widersprechen: trotz unauffälliger Kleidung oder Verhalten durften ich und meine Frau uns nicht frei bewegen, es wurden ausnahmslos alle Fans kontrolliert, darunter auch Kinder (neben mir und meiner Frau wartete ein Vater mit seinem circa 10 Jahre alten Sohn) und nicht wie angegeben nur Risikogruppen. Während der 90minütigen Wartezeit war es uns nicht gestattet in den Bahnhof zurückzukehren, um uns mit Getränken zu versorgen.“

„Kam zusammen mit drei Kollegen als einzige Werder-Fans aus einem IC aus Berlin. Da wir dort Urlaub gemacht hatten, waren unsere Rucksäcke voll mit Klamotten. Musste dann alles auspacken und durchsuchen lassen und wurde sehr intensiv abgetastet. Hatte auch gesagt, dass ich den Rucksack gerne ins Schließfach bringen würde. Durfte allerdings nicht zurück in den Bahnhof.“

„Zudem entstand der Eindruck, dass auch diverse Werderfans in die Kontrollen geraten sind, die nichts oder wenig mit der aktiven Fanszene (polizeideutsch: Risikoszene) zu tun haben. Die Fans sind relativ planlos da reingeraten und befanden sich dann erstmal in dieser Maßnahme. Es konnte beobachtet werden, dass ein Großteil davon intensiv kontrolliert wurde inkl. einzeln zur Kontrollstelle geleiten, Tascheninhalt leeren, Abtasten lassen.“

„Entgegen der Aussage, dass es sich nur um eine Sichtkontrolle handelt, wurden alle Personen, die durch die Kontrolle gegangen sind, von drei Polizeibeamten begleitet und mussten sich mit den Händen an die Wand stellen, alle Sachen aus den Taschen nehmen, und dann wurden die Personalien aufgenommen und aus meiner Sicht auch Fotos bzw Videoaufnahmen getätigt. Es gab aus meinem Blickwinkel keine Person, die nicht durchsucht wurde!“

„Wir beobachteten aus verschiedenen Perspektiven die Kontrollen. Hierbei wurden nicht nur Mitglieder von Ultra-Gruppierungen unverhältnismäßig penibel kontrolliert, sondern auch organisierte Werderfans, Rollstuhlfahrer*innen, die dem Bild eines „Risikofans“ der Polizei eindeutig nicht entsprechen. Wir fassen zusammen, dass überwiegend Jugendliche und junge Erwachsene von dieser Maßnahme betroffen waren. Die Maßnahme betraf nicht nur Ultras, sondern alle Werderfans im Kessel.“

Stellungnahme des Fan-Projekt Bremen

Erniedrigende Kontrollen

Die an ihnen durchgeführten Kontrollmaßnahmen beschreiben uns verschiedene Werder-Fans folgendermaßen:

„Ich habe diese Maßnahmen als völlig überzogen und traumatisierend erlebt. Es war überhaupt keine Art von Gewalt zugegen gewesen (nicht mal Lieder mit provokativem Inhalt wurden gesungen, nur „Hurra hurra die Bremer sind da“). Erst als die Kontrollmaßnahmen überhaupt nicht vorankamen und wir immer länger eingekesselt waren, kamen vereinzelt aggressiv gefärbte Lieder und Sprüche auf. Dies war absolut von der Polizei durch die unnötig lange Wartezeit und reine Schikane provoziert.
Ich habe mich bis heute von diesem Schock nicht erholt und bin fassungslos, wie es zu solch einer freiheitsentziehenden Maßnahme ohne jeglichen Grund in Deutschland kommen kann. Dies habe ich bislang nicht für möglich gehalten und ich halte das für eine sehr gefährliche Entwicklung.“

„Ich wurde festgehalten, musste meine Schuhe ausziehen und wurde überall abgetastet, sogar am BH-Bügel.“

„Unangenehme Berührungen im Intimbereich, sinnlose Nachfragen zu Pyrotechnik etc. und freche Polizei“

„Während der Kontrolle meines Rucksacks wurde ich ständig zurückgeschubst und vom Beamten als stinkender Bremer bezeichnet!“

Ich [Nutzer*in eines Rollstuhls] kam gegen 12:00 in Wolfsburg mit meinen Freunden an. […] Meine Begleitperson wollte mich zur Toilette begleiten, um mir Hilfestellung zu geben, dieses wurde mir von der Polizei verweigert. Die Polizei selbst hatte sich dann angeboten mir zu helfen, was für mich sehr erniedrigend war.“

„Der angesprochene ältere Polizist war mir gegenüber extrem unfreundlich und von Anfang an sehr misstrauisch. Ich will diesem Polizisten nichts unterstellen, aber da meine Freunde schon deutlich anders behandelt wurden (schnellere Kontrolle, kein Aufenthaltsverbot, keine Fragen zum Ausweis) und ich der einzige von uns mit einem ausländischen Namen bin, kam mir im Nachhinein doch leicht der Gedanke, dass dies eventuell ein Grund sein könnte.“

 „Aus meiner Gruppe war ich (dunkelhäutig) der Einzige, der intensiver durchsucht wurde.“

Was am Bahnhof in Wolfsburg geschah, war eine neue Dimension von Polizeiwillkür. Es wurden ganz normale Fans bis auf die Unterhose kontrolliert, Familienvater, alte Menschen und sogar einen Rollstuhlfahrer haben sie knapp 15 Minuten lang gefilzt, bis wirklich jede Tasche einmal auf links gedreht war. Etwas Derartiges habe ich zuvor noch nicht erlebt.“

„Ich bin am 6.08.22 als Begleitperson für einen Rollstuhlfahrer mit nach Wolfsburg zum Bundesligaspiel Wolfsburg gegen Werder Bremen gefahren. […] Wir sind an das Bahnhofsgebäude gegangen, wir haben unsere Ausweise für die Kontrolle abgegeben, der Polizist hatte uns erklärt das Rollifahrer auch kontrolliert werden, weil sie gerne gebraucht werden, um Pyro ins Stadion zu schmuggeln. Die Taschen wurden durchsucht, ich habe einem Polizisten erklärt, was eine Urinflasche ist, warum wir sie mithaben, weil ‚diese Flasche könnte man auch als Wurfgeschoss nehmen‘. Eine Polizistin kam auf mich zu, die sehr unfreundlich war, sie durchsuchte meine Tasche. Danach sollte ich meine Schuhe ausziehen und mich breitbeinig an die Wand stellen. Bei der Kontrolle was sie sehr grob, was ich als unangenehm empfand. Ich kam mir komisch vor bei der Kontrolle, weil man ist wie ein Verbrecher dargestellt worden, obwohl wir ihr keinen Anlass dazu gegeben hatten.“

Ohne Wasser in der prallen Sonne

Fans, die sich bis dahin gegen die Kontrolle entschieden hatten, aber trotzdem noch auf den Spielbesuch hofften, litten laut Augenzeug*innen deutlich unter den wetterbedingten Zuständen, die durch die Repression der Polizei noch zusätzlich verstärkt wurden:

„Ich habe mehrmals nachgefragt, wieso wir am Bahnhof festgehalten werden und ob ich mir nach fast 4 stunden Anreise etwas zu trinken holen kann. Nachdem ich zuerst ignoriert wurde, wurde ich danach ziemlich unfreundlich darauf hingewiesen, dass Werder-Fans nicht durchgelassen werden und man sich somit auch nichts zu trinken holen dürfen. Ich war schon fast froh darüber, dass meine Bahn eine halbe Stunde Verspätung hatte und ich somit „nur“ eine Stunde auf meine Grundbedürfnisse verzichten muss. Vielen Ultras (die teilweise schon seit mehreren Stunden festgehalten wurden) konnte man die Erschöpfung durch das Stehen in der prallen Sonne (ohne Wasser oder sonstige sanitäre Einrichtungen) anmerken.“

„Man hatte das Gefühl die Polizei wollte teilweise, dass die Fans nervös werden bzw. Ärger machen und die Stimmung kippt, damit man den Einsatz rechtfertigen kann. Manche Polizisten haben immer wieder überheblich geschmunzelt.“

Letztlich entschied sich ein Teil der Werder-Fans, übrigens nicht nur Mitglieder der aktiven Fanszene, die Heimreise anzutreten, da die Polizeiführung sich gegen jegliche Argumentationen der Fanbetreuung und des Fan-Projekts sträubte.

Denn sie wissen nicht, was sie tun?

Auffällig ist, dass laut den Gedächtnisprotokollen unterschiedliche Argumentationen und Rechtfertigungen seitens der Polizei für die Maßnahme genannt wurden: Anordnung der Stadt Wolfsburg, „Pech gehabt weil ihr Werder-Fans seid“, Fantrennung, Mitführen von Pyrotechnik, Aufenthaltsverbote. Aber auch blankes Unwissen:

„Wir haben bei der Kontrolle die Polizei gefragt, warum das Ganze passiert. Die Kollegen an der Absperrung konnten nur sagen, dass es die Kontrolle gibt. Wieso, wussten sie selbst aber nicht.

Es drängt sich der Gedanke auf, dass weder die beteiligten Polizeibeamt*innen darüber im Klaren waren, auf welcher Rechtsgrundlage sie glaubten, zu handeln, noch dass sie diese an die Betroffenen kommunizieren konnten. Das allein ist schon ein Unding, da polizeiliches Handeln stets auf gesetzlicher Grundlage fußen muss. Leben wir in einem Staat, wo Polizeibeamt*innen einfach das tun, was man ihnen sagt, ohne zu wissen, ob sie es überhaupt dürfen?

Halbgare Entschuldigung des Innenministers

Bekanntlich hat sich mittlerweile auch der niedersächsische Innenminister, Boris Pistorius, zu dem Vorfall geäußert und so etwas ähnliches wie eine Entschuldigung geäußert:

Sollten Fans aufgrund der so nicht rechtmäßigen Maßnahme zu Unrecht durchsucht worden sein, entschuldigen wir uns dafür.“

Pressemitteilung des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport

Dass Werder-Fans tatsächlich zu Unrecht durchsucht wurden, mag Pistorius bisher aber nicht einräumen. Stattdessen gibt er die Behauptung der für Wolfsburg zuständigen Polizeidirektion Braunschweig wieder, es seien „nur szeneangehörige Personen“ – was immer das heißen soll – kontrolliert worden:

„Die PD Braunschweig hat berichtet, dass die Kontrollmaßnahmen tatsächlich so durchgeführt wurden, dass davon nur szeneangehörige Personen betroffen waren. Unbeteiligte sowie die große Mehrzahl der Gästefans hätten die eingerichtete Stelle ohne Kontrolle passieren können.“

Pressemitteilung des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport

Daher kommt Pistorius allen Ernstes zu der Bewertung, die Maßnahmen seien „grundsätzlich zutreffend“ gewesen:

Die Prüfung hat ergeben, dass die Gefahrenprognose und die Maßnahmen der Polizei grundsätzlich zutreffend waren und lediglich der gewählte Rahmen einer Kontrollstelle nicht richtig war.“

Pressemitteilung des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport

Es dürfte sich wohl von selbst verstehen, dass wir als Grün-Weiße Hilfe uns vor dem Hintergrund der oben wiedergegebenen Schilderungen der betroffenen Werder-Fans verpflichtet fühlen, uns nicht mit dieser halbgaren „Entschuldigung“ zufrieden zu geben. Stattdessen werden wir in Kürze Klage beim Verwaltungsgericht Braunschweig einreichen. Damit wollen wir nicht nur die Einrichtung der Kontrollstelle für rechtswidrig erklären lassen, sondern auch die Durchführung der Identitätsfeststellungen und der Durchsuchungen.

Die betroffenen Fans haben es verdient, durch die gerichtliche Anerkennung, dass ihnen Unrecht angetan wurde, ein wenig Genugtuung zu erfahren. Und die Polizei Wolfsburg hat es verdient, vom Gericht ein für alle Mal ins Stammbuch geschrieben zu bekommen, dass man so mit Gästefans nicht umgehen darf.

Keine Entschuldigung der Polizei Wolfsburg

Die Polizeiinspektion Wolfsburg/Helmstedt und die Polizeidirektion Braunschweig haben sich übrigens bis zum heutigen Tage weder der „Entschuldigung“ des Innenministers angeschlossen noch sonst irgendwie ein eigenes Fehlverhalten eingeräumt. Anhand von Dokumenten, die uns mittlerweile vorliegen, können wir vielmehr belegen, dass die Polizei noch im Nachgang des Spiels die Öffentlichkeit gezielt getäuscht hat. Auf dieses unseröse Gebaren der Polizei Wolfsburg kommen wir demnächst an dieser Stelle zurück (siehe hier).

Darüber hinaus hat die Polizeidirektion Braunschweig nun auf die ersten Datenauskunfts- und Löschanträge von Werder-Fans reagiert. Dabei beharrt sie allen Ernstes darauf, dass die Datenerhebung rechtmäßig gewesen sei und die in der Kontrollstelle erhobenen Daten noch weitere fünf Jahre lang, bis August 2027, gespeichert blieben. Auch dies werden wir selbstverständlich nicht akzeptieren. Damit wir einen möglichst vollständigen Überblick bekommen, bitten wir alle Werder-Fans, die eine Antwort auf ihren Auskunfts- und Löschantrag erhalten haben, uns das Antwortschreiben über dieses spezielle Kontaktformular zu übermitteln. Vielen Dank für eure Mithilfe!