Ende der Verfolgung eines Unschuldigen

Landgericht Bremen lässt Anklage gegen Werder-Fan nicht zur Verhandlung zu – Rechtsanwalt vermutet „politisches Verfolgungsinteresse“

Nach fast sechs quälend langen Jahren erhielt nun ein Mitglied der Grün-Weißen Hilfe die erlösende Nachricht, dass die absurde Strafverfolgung gegen ihn ein Ende gefunden hat. Der Betroffene war mit drei anderen Werder-Fans wegen des Vorwurfs eines „besonders schweren Landfriedensbruchs“ angeklagt worden und musste bis zuletzt befürchten, bei der am morgigen Donnerstag beginnenden Hauptverhandlung auf der Anklagebank zu sitzen. Mit Beschluss vom 13. September lehnte das Landgericht Bremen aber nun die Zulassung der gegen ihn erhobenen Anklage ab.

Schon 2018 erkannte das Ordnungsamt an, dass sich auf Grundlage der Ermittlungsakte der Vorwurf einer aktiven Beteiligung an dem Vorfall nicht aufrechterhalten lässt, und hob ein Aufenthaltsverbot gegen den Betroffenen auf. Anfang 2021 urteilte dann das Verwaltungsgericht, dass der Betroffene aus der Datei Gewalttäter Sport zu löschen sei, weil keinerlei Hinweise vorlägen, die eine Einstufung seiner Person als „gewalttätig“ rechtfertigen könnten. Trotz alledem hielt die Staatsanwaltschaft hartnäckig bis zuletzt an der Anklage gegen ihn fest. Diese Zeit war für den Betroffenen naturgemäß sehr belastend, zumal sich bei ihm der ohnmächtige Eindruck verfestigen musste, dass das Nichtvorhandensein ihn belastender Indizien und die seine Unschuld bestätigenden Behörden- und Gerichtsentscheidungen nichts daran würden ändern können, dass ihn die scheinbar unaufhörlich laufenden Mühlen der Strafjustiz zu zermahlen drohten.

Man fragt sich hier erneut, was in die Staatsanwaltschaft gefahren ist, das Verfahren gegen den Ultra überhaupt so lange zu betreiben. Der Rechtsanwalt des Betroffenen, Sven Adam, kann sich das nur mit einem „politischen Verfolgungsinteresse“ gegen die antifaschistische Ultraszene erklären. Tatsächlich ist Prozessbeobachter*innen der Grün-Weißen Hilfe bei den bisherigen Gerichtsverhandlungen zum Vorfall im Dezember 2017 ein deutlich ungleiches Verfolgungsinteresse der Staatsanwaltschaft aufgefallen. Im ersten Prozess gegen vier Ultras zeigte sich die zuständige Staatsanwältin verbissen und wenig verhandlungsbereit gegenüber sämtlichen Verständigungsversuchen von Gericht und Verteidigung. Im derzeit laufenden Prozess gegen drei Personen der „Gegenseite“ – darunter Andree Sagemann, der langjährige extrem rechte Anführer der Hooligan-Gruppe „Standarte“ – wirkt die gleiche Staatsanwältin dagegen wie ausgewechselt: Gut gelaunt im Umgang mit den Angeklagten, spaßt sie mit der Verteidigung, bringt nur eine kurze und inhaltsleere Anklageschrift hervor und lässt sich extrem schnell auf die Aussagen der Verteidigung ein, ohne ihnen auch nur im Ansatz zu widersprechen. Auf das Angebot des Rechtsgesprächs reagiert sie mit einem „Ich kann mir alles vorstellen“, während sie im ersten Prozess noch jede Verständigung unterbunden hatte.

Wir dokumentieren hier die Pressemitteilung von Rechtsanwalt Sven Adam:

Ende der Verfolgung eines Unschuldigen: Landgericht Bremen lässt Anklage der Staatsanwaltschaft Bremen gegen Bremer Ultra nicht zur Verhandlung zu

Göttingen/Bremen, den 27.09.2023

Mit Beschluss des Landgerichts (LG) Bremen vom 13.09.2023 (Az.: 7 KLs 220 Js 43341/19 (9/23)) hat das LG eine Anklage der Staatsanwaltschaft Bremen vom 09.08.2019 wegen des Verdachts des besonders schweren Falls des Landfriedensbruches (§ 125a StGB) gegen einen Bremer Ultra nicht zur Verhandlung zugelassen. Dem heute 30-jährigen war von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen worden, sich am 16.12.2017 an Auseinandersetzungen zwischen Bremer Ultras und rechten Hooligans im Bereich der Kneipe „Die Schänke“ beteiligt zu haben.

Die Nichtzulassung der Anklage ist das Ende einer absurden Verfolgung des seinerzeit 24-jährigen Bremer Ultras durch die Bremer Polizei, das Ordnungsamt und die Staatsanwaltschaft Bremen.

Denn tatsächlich ist aktenkundig, dass der junge Mann am 16.12.2017 selbst von einem rechten Hooligan aus dem Bereich der „Schänke“ angegriffen und verletzt wurde. Im Zuge der stattdessen aber gegen den Ultra geführten Ermittlungen erhielt er im Jahr 2018 auf Betreiben der Bremer Polizei und trotz Dauerkarte ein Aufenthalts- und Betretungsverbot für das Stadtgebiet von Bremen während der Heimspiele der ersten und der zweiten Mannschaft des SV Werder Bremen, es wurde die strafprozessuale und gefahrenabwehrrechtliche erkennungsdienstliche Behandlung zur Abgabe von Lichtbildern und Finger- und Handflächenabrücken angeordnet und er wurde in die BKA-Verbunddatei „Gewalttäter Sport“ eingetragen.

In verwaltungs- und amtsgerichtlichen Haupt- und Eilverfahren wurde gegen sämtliche polizeiliche Maßnahmen erfolgreich vorgegangen.

Auf ein verwaltungsgerichtliches Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht Bremen (Az.: 2 V 1990/18) erkannte das Ordnungsamt die Rechtswidrigkeit des Aufenthalts- und Betretungsverbotes an und hob das Verbot mit Verfügung vom 30.08.2018 auf. Die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung wurde strafprozessual mit Beschluss des Amtsgerichts Bremen vom 10.10.2018 (Az.: 92a Gs 761/18 (220 Js 6814/18)) und gefahrenabwehrrechtlich auf einen Widerspruch mit Verfügung der Polizei vom 12.09.2018 aufgehoben. Die Eintragung in die BKA-Datei „Gewalttäter Sport“ wurde letztlich mit Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen 26.03.2021 (Az.: 2 K 2929/18) für rechtswidrig erklärt und die Freie Hansestadt Bremen zahlte im August 2021 dem Werder Fan eine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer in Höhe von 600,00 €.

Trotz der bereits Anfang 2018 vorliegenden Erkenntnisse der Bremer Polizei, nach denen der Ultra von einem namentlich bekannten rechten Hooligan „angegriffen und mit Faustschlägen traktiert“ wurde und eine Tatbeteiligung des Ultras selbst auf dem umfangreichen Videomaterial in der Akte nicht zu sehen ist, und trotz der Eingeständnisse der rechtswidrigen polizeilichen und ordnungsrechtlichen Maßnahmen wurde der Ultra von der Staatsanwaltschaft Bremen am 09.08.2019 wegen des Verdachts des besonders schweren Landfriedensbruches angeklagt – und zwar zum Landgericht Bremen wegen der besonders hohen Straferwartung.

Nach § 125 Abs. 1 Alt. 1 macht sich jedenfalls strafbar, wer sich in der Menschenmenge befindet und durch ein aktives Verhalten an Gewalttätigkeiten oder an Bedrohungen (als Täter oder Teilnehmer) beteiligt, wohingegen die bloße Anwesenheit nicht unter Strafe steht“, heißt es nun im Ergebnis in dem Nichteröffnungsbeschluss des LG Bremen vom 13.09.2023.

Mit den rechtlichen Belehrungen gegenüber der Bremer Staatsanwaltschaft durch das Landgericht zum Landfriedensbruch findet das Strafverfahren gegen meinen Mandanten endlich ein für die Bremer Behörden peinliches Ende“, führt der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam aus, der den Ultra in allen Verfahrensstadien vertreten hat. „Eine objektive Strafverfolgungsbehörde hätte bereits im Januar 2018 das Ermittlungsverfahren gegen meinen Mandanten eingestellt und keine Maßnahmen mehr getroffen. Hier wurde aber offensichtlich ein Bremer Ultra verfolgt – schlicht, weil er Ultra ist und trotz des Wissens, dass er selbst Betroffener rechter Gewalt wurde. Objektiv ist das nicht mehr zu erklären – eher mit einem politischen Verfolgungsinteresse“, ärgert sich Adam zudem über die wider besseres Wissen angeordneten Maßnahmen und die nun nicht zugelassene Anklage.

https://anwaltskanzlei-adam.de/2023/09/27/ende-der-verfolgung-eines-unschuldigen-landgericht-bremen-laesst-anklage-der-staatsanwaltschaft-bremen-gegen-bremer-ultra-nicht-zur-verhandlung-zu/