Strafanzeige gegen Polizeikräfte

Nach gewalttätigen Übergriffen oder anderen Verfehlungen durch Polizeikräfte ist man stets verunsichert und es besteht oft ein großes Verlangen nach Gerechtigkeit. Im ersten Moment scheint eine Strafanzeige das richtige Mittel dafür zu sein. Schön wäre es, wenn Rechtsstaat und unabhängige Gerichte dem annähmen und zu einer fairen Aufklärung beitrügen. Die Realität zeigt leider ein anderes, düsteres Bild. Strafanzeigen gegen die Polizei haben wenig bis gar keine Erfolgsaussichten. In der überwiegenden Mehrheit – etwa 90% der Fälle – wird das Verfahren sang- und klanglos eingestellt. In nur ca. 2% der Fälle wird überhaupt Anklage erhoben oder sie enden mit einem Strafbefehl. Zum Vergleich: Bei anderen Straftaten liegt die Quote bei rund 22%. Die Dunkelziffer dürfte in diesem Bereich zudem um einiges höher liegen, da aufgrund der Problematik bei weitem nicht jede*r eine Strafanzeige stellt. Die Gründe dafür sind strukturell:

Durch die fehlende Kennzeichnung, besonders in geschlossenen Einheiten, lässt sich oft gar nicht die Identität einzelner Beamt*innen feststellen. Zudem herrscht in der Polizei ein ausgeprägter Korpsgeist vor. Aussagen werden untereinander abgesprochen und Kolleg*innen gedeckt, selbst bei Straftaten im Dienst. „Kolleg*innen sagen nicht gegen Kolleg*innen aus“.

Des Weiteren fehlt es in Deutschland an unabhängigen Ermittlungsstellen. Aktuell ist der Status Quo in vielen Bundesländern so, dass die Polizei faktisch gegen sich selber ermittelt. Dass dabei nichts Brauchbares herum kommt, lässt sich vorhersehen. Und auch die Staatsanwaltschaft, als „Herrin des Strafverfahrens“, untersteht einem gewissen Interessenskonflikt, da sie in der alltäglichen Arbeit auf die Hilfe der Polizei angewiesen ist.

Bürgerrechtsorganisationen kritisieren dies seit etlichen Jahren. Europäische Union und UN-Menschenrechtsrat haben die Bundesrepublik zwar mehrmals auf diese Missstände hingewiesen und gerügt, passiert ist aber nichts.

In Bremen werden interne Ermittlungen immerhin nicht von der Polizei selbst, sondern durch eine beim Senator für Inneres angesiedelte Abteilung durchgeführt. Bei den Ermittler*innen handelt es sich aber um ehemalige Polizist*innen, zudem ist angesichts des Dienstherrn eine wirkliche Unabhängigkeit natürlich nicht gewährleistet. Im Herbst 2020 soll ein Gesetz über die Schaffung einer tatsächlich unabhängigen Beschwerdestelle (Polizeibeauftragte*r) beschlossen werden, bei der voraussichtlich auch vertrauliche Eingaben möglich sein werden.

Ein weiteres Problem, vor welches die Anzeigenden gestellt werden, ist, dass man selbst schnell ins Visier der Strafverfolgung gerät. Opfer von Polizeigewalt müssen immer mit einer Gegenanzeige wegen „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ rechnen. Das polizeiliche Vorgehen soll damit gerechtfertigt und Polizeigewalt im Nachhinein legitimiert werden. Eine klassische Täter-Opfer-Umkehr.

Wir raten deshalb dringend dazu, niemals auf eigene Faust eine Strafanzeige zu stellen. Wenn ihr das Bedürfnis danach habt, macht dies nur in Zusammenarbeit mit einer fachbezogenen Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt. Diese*r wird euch eine Einschätzung geben können und das juristische Vorgehen für euch übernehmen. Gerne könnt ihr die Grün-Weiße Hilfe um eine erste Einschätzung und ggf. Weitervermittlung bitten.

Zudem ist es für eine Aufklärung unheimlich wichtig, dass ihr nach polizeilichen Übergriffen immer ein Gedächtnisprotokoll erstellt und auch etwaige Zeug*innen darum bittet, dies zu tun. Falls ihr verletzt wurdet, solltet ihr unverzüglich einen Arzt aufsuchen und die Verletzungen ausführlich feststellen. Idealerweise gibt es in eurem Wohnort die Möglichkeit einer „anonymen Spurensicherung“ in einem Krankenhaus, wo das sehr professionell und beweissicher gemacht wird. In Bremen gibt es so ein Angebot leider bisher nur für Sexualstraftaten, eine Erweiterung auf Gewaltdelikte generell ist aber geplant.